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dada Karawanserei

Zürich, Anfang 1916. Während die österreichisch-ungarisch-deutschen Mittelmächte in Süd- und Osteuropa, von russisch Polen bis zur albanischen Küste, von Siegesserien euphorisiert sich Italien und Frankreich niederwerfend wähnen, formiert sich in der Schweiz eine internationale Enklave von Kriegsgegnern und Künstlern. 1915 emigrieren auch der Autor Hugo Ball und die Laienschauspielerin Emmy Hennings von Deutschland aus nach Zürich. Hugo Ball, eigentlich Freiwilliger zum Kriegsdienst, jedoch für untauglich befunden und nach erstem zivilen Frontkontakt doch sich dem Anarchismus eher zugeneigt fühlend denn Hollwegs Septemberprogamm, gründet mit Emmy am 5. Februar 1916 das Cabaret Voltaire in der Züricher Spiegelgasse 1 - einen offspace Club, wie man heute vielleicht sagen würde. Dargeboten werden satirische Performances verschiedenster Art, die zeitgenössischen Kunst- und Gesellschaftsformen parodierende Experimente in unterschiedlichsten Formaten. Der totale Zweifel an allem, norm- und idealfreier Individualismus, absolute Freiheit im Ausdruck ohne Konvention und Reglement und der Zufall als schöpferisches Prinzip befeuern das Wirken der frühen Dadaisten, neben Hugo Ball und Emmy Hennings Tristan Tzara, Richard Huelsenbeck, Marcel Janco und Hans Arp.
Lautgedichte ohne inhaltlichem Anspruch, frei nach Ball „Verse ohne Worte“, Simultanlesungen als Metapher auf die Verschlungenheit des Menschen in den mechanistischen Prozeß sowie performative Darbietungen mit tonaler Untermalung, Collagen … Anti-Kunst die „Erwartungen auf eine Kunst erfüllt, die uns die Essenz des Lebens ins Fleisch brennt“, wie Richard Huelsenbeck es 1918 in seinem Dadaistischen Manifest formuliert. Und zuvor, am 14. Juli 1916 im Manifest zum 1. Dada-Abend proklamiert Hugo Ball den Weg dahin, die radikale Freiheit des individuellen Ausdrucks: "Ich lese Verse, die nichts weniger vorhaben als: auf die Sprache zu verzichten. [....] Ich will keine Worte, die andere erfunden haben. Alle Worte haben andere erfunden. Ich will meinen eigenen Unfug, und Vokale und Konsonanten dazu, die ihm entsprechen." ... Wittgensteins Tractatus, das man hier wirksam meint, erschien übrigens erst 1922: „Sätze können nichts Höheres ausdrücken. [...] Ein Satz kann nicht formulieren, was ihn trägt, und daher „Welt“ immer nur darstellen, nicht aber an- oder einklagen." und seinem Konklusio „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ hat Hugo Ball eindrücklich vorweggegriffen, oder es gar aufgelöst.

In Amerika waren schon einige Jahre zuvor an – noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs - emigrierten Künstlern ähnliche Anti-Kunst Strömungen hervorgetreten, der Fotograf Alfred Stieglitz, Francis Picabia und Henry Duchamp mit seinen „Ready Mades“ greifen in ihrem künstlerischen Schaffen die großen Themen der Zeit im Licht von Industrialisierung und Automatisierung in ganz neuen Formaten auf.

Ausgehend vom Züricher Cabaret Voltaire entwickelten sich Dadaistische Gruppen in immer radikaleren Ausformungen in Deutschland und Frankreich, von wo aus in den 1920ern das bereitete Feld, dem Zeitgeist entsprechend freudianisiert, der aufkeimende Surrealismus bestellt. So meint André Breton, Dichter, Schriftsteller und der wichtigste Theoretiker des Surrealismus, „daß der Dadaismus keinem anderen Zweck gedient haben kann als dem, uns in dem vollkommenen Zustand der Verfügbarkeit zu halten, in dem wir gegenwärtig sind und aus dem heraus wir jetzt in aller Klarheit auf das zugehen werden, was uns ruft.“

Was ist weil blieb vom Dadismus ist ein herzerfrischendes Flackern über die Zeit, von Andy Warhols A: A Novel über Ernst Jandls schtzngrmm bis Helge Schneiders Das Rätsel ("Lernen, Lernen, Popernen"), Marina Abramovićs The Artist Is Present, Happenings, flashmobs usw. usf....

Auch Duchamps Ansatz des Ready Made vor dem Hintergrund, daß nicht die Kunst eigentlicher Gegenstand ihrerselbst ist, sondern die Wahl des Betrachters, was er als Kunst anerkennt und was nicht, und vielleicht tiefergehend noch die Frage, worauf diese Wahl beruht, haben bis dato eine umfassende und wohl nie endende Evolution hinter sich. Schon René Margritte bearbeitet diesen Impuls 1935 im Geiste des Surrealismus mit La trahison des images („Der Verrat der Bilder“ oder um der Sache ein „Bild“ zu geben, der Untertitel, >>dies ist keine Pfeife<<) und stellt die Frage nach der Beziehung zwischen Objekt, Begriff und Repräsentation.

Als vermeintlich maßgeblicher Vertreter des Neo-Dadismus ist wohl John Cage zu betrachten, der vorneweg in den frühen 1950ern das Happening-Format umfassendst für die Kunstwelt formalisierte und die fluxus-Bewegung durch Legitimation des Zufallsprinzips und des Geräuschs in der Musik über seinen Lehrstuhl am Black Mountain College in Asheville impulsierte. John Cage, seinerselbst Schönberg Schüler, gilt heute als einer der einflussreichsten Komponisten des 20. Jahrhundertes und Begründer der Neuen Musik. Die Prinzipien die er Vertrat hätten wohl auch Hugo Ball und die frühen Dadaisten unterschrieben (gemeinsame Projekte mit Hans Arp mögen dies bezeugen), Zufall, Interdisziplinarität, Simultanität sowie der Anspruch, über das gängige Kunstverständnis hinausgehend eine befreiende Bewußtseinsveränderung zu erzielen, Kunst und Leben ineinander zu verweben. Und mit fluxus und dem – zumindest begrifflichen – Schöpfer George Maciunas kehrten auch wieder politische und sozial-revolutionäre Positionen in den Neo-Dadaismus mit ein, wenngleich diesem wohl kaum gesellschaftlicher Einfluß zugesprochen werden kann, am wenigsten wohl intern – so waren bis Mitte der 1960er kaum Frauen in der Bewegung zu verorten, als eine der wenigen Ausnahmen ist wohl Yoko Ono zu nennen.

In etwa zu gleichen Zeit, Mitte der 1960er Jahre, stiftet uns in Deutschland Joseph Beuys die Idee der Sozialen Plastik. Der durch Denken und Sprache soziale Strukturen entwickelnde Mensch ist Künstler, mit allem, was er gestaltet und somit schöpferisch hervorbringt wirkt er gesellschaftsverändernd, modelliert den Gesamtorganismus, die Gesellschaft in allen ihren Bereichen.

Beuys konkrete Objekte und Installationen sind oftmals dem Segment des Aktionismus („wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“) und der Installation zuzuordnen und durchzogen von der Auseinandersetzung mit den Fragen seiner Zeit (Bsp. „Dürer, ich führe persönlich Baader + Meinhof durch die Documenta V „). Neben Butterbergen hat der Mann mit Hut solch hoch aktuelle Erscheinungen wie free universities, die Grünen oder die solidarische Landwirtschaft impulsiert und den Neo-Dadaismus damit ins Allgemeinverständnis überführt.

Wo Dada drin ist, steht heute nicht dada drauf, in der experimentellen und elektronischen Musik sind Sampling, Geräusch, Überlagerung und zufällig modulierende wie stehende Wellen zum Usus geworden, in der bildnerischen Erziehung collagieren unsere Kinder mit Zeitungsausschnitten und Textilien frei aus ihrem Innersten heraus und jenseits der Kunst fasste Dada vor allem in der Werbung fuß, wo die dadaistischen Grundprinzipien von Provokation und Irritation dankbar aufgegriffen und intensiv weiterentwickelt wurden, siehe nur Hornbachs „Geiz ist geil“.

Das tool der frühen Dadaisten, der spontane sinnbefreite intuitive Kreativitätsausbruch ist uns auch heute, 100 Jahre danach, Garant für Überraschung und Irritation, für ein Herausgeführtwerden aus Dogmen und authoritätsdiktiertem denken, wahrnehmen und vorgefertigtem Ausdruck, losgelöst von Form-, Format-, Sinn- und Wahrheitsfesseln und damit eine psychohygienische Wunderkammer für dieses und vermutlich noch viele kommende Jahrhunderte. Danke Dada. Du bist die Oase in dieser Wüste der verklärt bedeutsamen Sandkörner.